Diese Frage wird in der Regel nicht gestellt. Wir nehmen selbstverständlich an, dass die Frau folgt und der Mann führt. Und in der Realität einer Milonga ist das auch so. Wenige Frauen führen und noch weniger Männer folgen. Aber geht das denn: einfach tanzen, ohne sich in Klischees zu verlieren?
Dass es geht zeigen „Open-role“ Veranstaltungen, die sich immer größerer Beliebtheit erfreuen und viele Menschen ansprechen. Was hindert uns also daran, in beiden Rollen zu tanzen? Und was gewinne ich, wenn ich es tue?
Uns hindert vor allem das Vorurteil, dass der Mann führt und die Frau folgt. Wir werden von Vorurteilen eingeschränkt, die wir übernommen haben, derer wir uns jedoch nicht bewußt sind. Der seltene Gebrauch der Formulierungen „die Führende“ und „der Folgende“ geht darauf zurück. Wenn jedoch eine Frau als “der Führende” und ein Mann als “die Folgende” bezeichnet werden, ergibt das keinen Sinn. Im Kursalltag ist es trotzdem der gewohnte Sprachgebrauch sowohl der Lehrenden als auch der Lernenden. Das ehrliche Selbsterleben ist einer der wunderschönen Effekte beim Tanzen. Wir wollen keine Rolle tanzen, wir wollen uns so ausdrücken, wie wir uns fühlen, egal, ob wir folgen, oder führen. Die Sprache als Brücke kann das fördern oder verhindern.
Das es anders möglich ist, zeigen unsere Basis Workshops, in denen wir häufige Rollenwechsel anregen, die von den Teilnehmenden ganz selbstverständlich angenommen werden. Die Stimmung, die dabei entsteht, ist frei und gelöst. Die Frage, wer folgt und wer führt, beantwortet sich so vor jedem Tanz neu.
In unseren Kursen erleben wir den positiven Effekt von gleichgeschlechtlichen Lehrteams. Wer Ellie und Evi oder Francesco, Emre und Bassili dienstags zusammen im Unterricht erlebt, möchte selber auch beide Rollen tanzen. Sie zeigen ganz natürlich, dass Führen und Folgen nicht geschlechtsspezifisch ist. Das färbt unmittelbar auf die Teilnehmenden ab.
Wenn wir das Klischee einmal überwunden und den Zauber beider Rollen gespürt haben, ist der Weg zurück nicht attraktiv. Wir erleben uns im Führen und im Folgen auf unterschiedliche Weise. Beides ist verzaubernd und magisch. Es ist eine unnötige Einschränkung, auf das eine oder andere zu verzichten.