Sensibler folgen und führen lernen

Sicher stimmen die meisten zu, dass es einen Unterschied macht, ob man Tango in der folgenden oder in der führenden Rolle tanzt. Was sich einfach und logisch anhört, ist in der Praxis vielschichtig und wirft Fragen auf: Warum fühlen sich Führende ermächtigt, den Folgenden während des Tanzens Tips zu geben? Warum tanzen Folgende Elemente, die nicht geführt werden?

Im Einzelgespräch ist den meisten Führenden klar, dass sie mangels eigener Erfahrung den Folgenden gar keine hilfreichen Tips geben können. Im besten Fall meinen sie es gut. Oft erschaffen sie dadurch aber eine Hierarchie, die unangemessen ist und die gleichberechtigte Verbindung verhindert.

Wenn Folgende Ochos, Boleos oder andere Schritte selber tanzen, ist ihnen manchmal langweilig, oder sie wollen den Führenden etwas Gutes tun, indem sie mehr tanzen als angeboten wird. Auch sie verhindern dadurch eine Verbindung, da sie sich nicht mit Impuls und Interpretation bewegen, sondern die Bewegungen selber produzieren.

Dabei wollen wir alle dasselbe: Angenehme, schöne Tänze. Wenn “sie” jedoch mit festen Erwartungen auf die Tanzfläche geht, ist sie nicht offen für ihr Gegenüber. Wenn “er” mit seiner Aufmerksamkeit bei den Menschen ist, die zuschauen, weil es ihm wichtig ist, was sie über ihn denken, spürt er die vielen feinen Bewegungen nicht, die beim Tanzen stattfinden. Sensibilität für die andere Rolle hilft, das Verständnis für die Partnerin oder den Partner zu vertiefen. Diese können Folgende und Führende entwickeln, wenn sie beide Rollen erlernen.

In unseren Fundamentals Kursen im Nou tanzen alle mit allen und wechseln häufig die Rolle. Anfangs ist das ungewohnt, aber mit etwas Übung und gutem Willen funktioniert es gut und ist ein große Bereicherung für unsere Schüler:innen.

Durch das Tanzen der anderen Rolle spürt man, wie sich etwas, das man bisher nur aus der gewohnten Rolle kannte, am eigenen Körper anfühlt. Beim Folgenlernen merkt man erst, wie anstrengend es ist, zehn Ochos oder fünf Boleos nacheinander auszuführen, wie unangenehm eine Führung “aus den Armen” ist und wieviel Feingefühl und Erfahrung es braucht, um mit Führenden unterschiedlicher Couleur angenehm und kreativ zu tanzen.

Beim Führenlernen entwickelt man schnell ein Verständnis dafür, wieviel Aufmerksamkeit Navigation auf der Tanzfläche beansprucht, wie schwierig es ist, dabei gleichzeitig konzentriert und entspannt zu sein und darüber hinaus den Tanz für die Folgende interessant und passend zur Musik zu gestalten.

Diese Perspektivwechsel ermöglichen uns allen, unseren Tanz zu verbessern und damit den Fokus auf das zu richten, was wir wirklich ändern können: Uns selbst. Davon profitierenden wir alle, Folgende und Führende, gleichermaßen.